Die Leseprobe

D. S. „Die totale Freiheit“

Mein Vater hat zu mir gesagt: „Du wirst eines Tages in der Gosse enden, aus dir wird nichts.“ Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum ich mich nie habe unterkriegen lassen. Stattdessen habe ich mich mit allen möglichen Jobs durchs Leben geschlagen. Nach meiner Bäckerlehre im elterlichen Betrieb bin ich für ein Jahr als Au-Pair-Mädchen nach England gegangen. 1960 war ich wieder zurück in Deutschland. Da habe ich angefangen, bei der Stahlunion in Düsseldorf Telegramme und Fernschreiben zu ver- und entschlüsseln. Oft war ich die Letzte im Büro, weil ich noch bis spät Telegramme durchgeben musste. Immer wenn das übrige Personal gegangen war, kam mein Chef, setzte sich auf meinen Schreibtisch und versuchte mich zu verführen. Aber ich mochte den alten Knacker überhaupt nicht. Aus dem Grund habe ich den Job verloren. Ich war aber froh, dass ich da raus war. Und dann habe ich angefangen, Taxi zu fahren.
Irgendwann — `63 muss das gewesen sein — stieg in Düsseldorf am Flughafen ein Fahrgast in mein Taxi, der mich während unseres kurzen Gespräches bat, für ihn einen Wagen nach Teheran zu überführen. Das war ein iranischer Staatsangehöriger, der ein Import-Export-Geschäft in Düsseldorf hatte.

Ein paar Wochen darauf sind wir zu viert mit diesen Autos losgefahren. Meine Mutter hatte sich vollkommen dagegen gestellt. Die dachte, ich würde entführt. Ich habe mich von unterwegs — ich glaube, in Bulgarien — gemeldet und gesagt: „Mami, ich bin jetzt weg.“ Die Reise war natürlich sehr abenteuerlich und sehr anstrengend. Als wir an die Grenze in Aserbaidschan kamen, die Grenze zwischen der Türkei und Persien, wurde unser Auftraggeber wegen Devisen-Schmuggels verhaftet. Wir konnten die Grenze auch nicht überschreiten, weil wir kein Einreisevisum hatten. Auf der persischen Seite gab es eine Herberge, in der wir dann für eine Woche einquartiert wurden, um zu warten, bis ein Einreisevisum aus Teheran kam.

Und da hatte ich schon mein erstes sehr aufregendes Erlebnis. Weil ich mich langweilte und schönes Wetter war, habe ich mich leicht bekleidet auf den Balkon gesetzt. Bald bemerkte ich, dass die Leute — da waren nur Männer auf der Grenzstation — alle zusammenliefen und auf den Balkon guckten. Und plötzlich fürchterlich anfingen zu schwitzen. Zunächst ist aber nichts passiert. Am gleichen Tag nach dem Abendessen bin ich auf mein Zimmer gegangen. Wir aßen einmal am Tag in der Herberge und es gab immer das gleiche Essen. Ich erinnere mich noch daran: Abguscht mit Reis. Zum Abendessen wurde dort auch viel Wodka getrunken. Als ich dann auf meinem Zimmer war, hörte ich nach einer gewissen Zeit, dass sich jemand an meiner Tür zu schaffen machte. Es gab kein elektrisches Licht und keine Türschlösser, sondern nur Häkchen, mit denen man die Tür von innen verhaken konnte. Deshalb bekam ich ein bisschen Angst und stand ganz leise auf. Dabei schnappte ich mir eine riesen öllampe. Als die Tür aufgebrochen wurde, habe ich die öllampe über dem Kopf, der da zur Tür hereinkam, zerschmettert. Der Mann war jedoch nicht sehr beeindruckt. Es handelte sich um den Chef der Polizei der Grenzstation, der zum einen betrunken war und mich außerdem als Freiwild ansah. Ich habe so reagiert, als ob ich gar nicht verstanden hätte, worum es ihm ging. Ich unterstellte ihm einen gewöhnlichen Raubüberfall und fragte: „Was willst du denn haben? Hier, mein Geld, meine Handtasche, alles geb ich dir!“ Meine Nachbarn, zwei persische Studenten, wachten von dem Theater auf und kamen rüber. Gottseidank sprachen sie deutsch. Sie verhandelten mit dem Polizeichef, was mit mir geschehen sollte. Die Diskussion hat bis zum Morgengrauen gedauert. Dann hat man mich im Beisein des Herbergsvaters ein Protokoll niederschreiben lassen, was angeblich nach Teheran gesandt wurde, damit dieser Polizist von seinem Amt enthoben wurde. Ich glaube nicht, dass das wirklich passiert ist. Aber wir konnten schließlich einreisen. Nur Geld haben wir keines bekommen.

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